Vortrag von Hermann Brender zum 100-jährigen Bestehen des Evangelischen Krankenpflegevereins, jetzt Ökumenischer Diakonie- und Krankenpflegeverein e.V. Giengen/Brenz

Zwischen 1981 und 2003 ist Hermann Brender Rechner des ev. Krankenpflegevereins gewesen und konnte in der Geschäftsführung gestaltend mitwirken. Neben selbst erlebtem ist das Referat von Pfr. Kreh zum 75jährigen eine wichtige Quelle für diese Ausführungen.

Der Verein, der relativ bescheiden sein 100jähriges Bestehen feiert, war und ist

  1. ein nötiger Verein,
  2. ein Not wendender Verein,
  3. ein umstrittener Verein
  4. und er war, ist und könnte in Zukunft der Verein sein, der Diakonie und Caritas, also Barmherzigkeit um Jesus willen, den Menschen täglich erlebbar macht. In ihrem alltäglichen Leben.

 

  1. Ein nötiger Verein

Das lässt sich schon daran erkennen, dass er 1913 mit rund 200 Mitgliedern gestartet ist. Vorher war in Giengen eine Schwester des Bezirkskrankenpflegevereins tätig. Die Mitglieder der Betriebskrankenkasse der „Vereinigten Filzfabriken Giengen“ sind gleich alle Mitglied geworden. Das zeigt, dass schon damals klar war, dass die Krankenpflegevereine keine Krankenversicherung sind. Etwas, was immer  wieder verwechselt und eingefordert wird.

Vereinszweck war nämlich von Anfang an die „geregelte und sachverständige Verpflegung von Kranken.“

Warum war damals der Verein nötig? Weil nicht nur Männer, sondern auch Frauen in der wachsenden Industrie Arbeit gefunden haben und damit nicht gleichzeitig kranke Familienangehörige gepflegt werden konnten.

Der Jahresbeitrag betrug immerhin 3,- Mark. Die Pflege hat dennoch zusätzlich etwas gekostet:  1 Mark für 1 Tag, Ärmere zahlen - ,60 Pfg, noch Ärmere -,30 Pfg. Nichtmitglieder das Doppelte. Interessant ist, dass solche, die erst eingetreten sind, als sie den Dienst der Krankenschwester gebraucht haben, für die ganze Dauer der Krankheit den für Nichtmitglieder geltenden Pflegesatz berechnet bekamen. (Konsequenter als heute)

Damals war auch geregelt, dass die Schwester das Recht hat, mindestens eine Stunde im Lauf des Tages zur Erholung für sich in Anspruch zu nehmen. Immerhin. „Die Beköstigung der Schwestern bestreitet der Verein“, war bestimmt. Aber auch, dass in Häusern, in denen man es sich leisten konnte, bei einer Nachtwache der Schwester eine Erquickung gereicht werden solle, bestehend aus Tee, Kaffee oder Wein.

Allerdings: die beiden ersten Schwestern des Vereins  wurden bereits am 5.August 1914 eingezogen. Der erste Weltkrieg begann und Schwestern mussten als Sanitätsschwestern an die Front.

Erst ab 1917 kommt wieder eine Olgaschwester. Vorher wurde kein Beitrag erhoben, da keine Pflege geschah. Jetzt aber kann man im Brenztal-Boten lesen, dass man sich nicht wundern solle,  dass der Vereinsdiener (gemeint war der Amtsbote)  mit der Mitgliederliste Besuche mache. „Er wird mit der höflichsten Miene, die wir an ihm gewohnt sind, erscheinen, um die Beiträge abzuholen;  möge er selbst dann auch überall freundlich empfangen werden.“ Also dann … gewähren Sie die Freundlichkeit auch denen, die dieses Jahr die Beiträge einziehen.

  1. War es auch ein Not wendender Verein?

Er ist es heute wie früher, daran habe ich keinen Zweifel. Nach wie vor ist es Not wendend, wenn Kranke und Alte daheim gepflegt und versorgt werden können und dazu die Schwester (oder der Pfleger) ins Haus kommt und weiß, wie sie hinlangen soll. Die die Kenntnisse und die Erfahrung hat und Hilfe bringt. Wir alle haben große Hochachtung vor denen, die ihren  Eltern und Schwiegereltern, ihren Gatten und manchmal auch den Kindern oder Geschwistern bieten, was der Seele gut tut: das gepflegt sein zuhause.

Genau diese pflegenden Angehörigen brauchen unsere fachliche Unterstützung. Und wenn es die Angehörigen nicht gibt, Leute allein sind, brauchen sie die Schwestern erst recht. Danke für diesen Dienst. Auch gerade dann, wenn er über das normale Zeitbudget hinausgeht.

Not wendend war auch der Neuanfang nach dem zweiten Weltkrieg. Denn was ist geschehen? Die damalige Schwester ist, wie freiwillig weiß ich nicht, 1939 aus dem Olgaschwestern-Mutterhaus ausgetreten und NS-schwester geworden. Man muss lesen, dass der Ausschuss nach Rücksprache mit der NSDAP-Ortsgruppe (!)gewählt wurde. Und dass der Vorstand aus Bürgermeister (Ehrlinger) und dem NSV-Ortsgruppenleiter bestehe. Angeblich lt. Satzung §7. Dort stand allerdings damals: der Vorstand besteht aus dem Stadtvorstand und dem 1. Stadtpfarrer. Nicht einmal die Satzung  konnte man mehr lesen aus lauter Verblendung.

Wie konnten Christen dann die Not wenden?  So, dass 1940, in der Zeit der braunen Schwester, die ev. Kirchengemeinde eine Gemeindekrankenschwester  anstellt. Um dem Auftrag Jesu gerecht zu werden. Man konnte Kranken- und Altenpflege doch nicht denen überlassen, die manches Leben als unwert, manche Esser als unnütz und manche Menschen wie Unmenschen und Untermenschen behandelt haben.

Die Kirchengemeinde hat also seit 1940 Schwester Berta Frey zur häuslichen Pflege angestellt und finanziert.

1947 gründet Pfarrer Lang dann den Evangelischen Krankenpflegeverein Giengen als Nachfolgeverein des Krankenpflegevereins. Weiterhin ist es laut Satzung die Aufgabe, ohne Unterschied der Konfession eine geregelte und sachverständige Verpflegung von Kranken zu sorgen.

Durch Diakonissen. Ältere werden sich an die Olgaschwestern Mina und Rosa erinnern, die in den 50ern und 60ern zu Fuß, mit dem Moped und erst später mit dem Auto in der Stadt unterwegs waren.  Wegen Personalmangel kündigt dann das Mutterhaus den Gestellungsvertrag.

Die Not wenden jetzt Verein, Kirchengemeinden – evangelisch und katholisch, Stadt und Presse  dadurch, dass sie Giengenerinnen suchen, die sich ausbilden lassen. Ruth Kruttschnitt geht als erste diesen Weg.

Not wendend war immer mehr ein Auffangen der aus den Krankenhäusern entlassenen und der zu Pflegenden im häuslichen Bereich. Sozialstationen wurden eingerichtet. Die Pflegedienstleitung hatte kurzzeitig wieder eine Olgaschwester, Sr. Margarete Lindenberg, die allerdings bald nach Heidenheim versetzt wurde. Sie hat die Sozialstation eingerichtet. Das Inventarverzeichnis von 1980 listet u.a. drei Sitzbadewannen auf, die man ohne sie je zu brauchen nach der Wende nach Zeulenrode weitergegeben hat. Der Verein hats bezahlt, denn irgendwo stand geschrieben, eine ordentliche Sozialstation müsse das haben. 1980 wohlgemerkt. Ja, wenn nach Vorgabe entschieden wird, die auf dem Papier steht… Was aber lange nötig und hilfreich, Not wendend war, das war der Verleih von Pflegebetten und Zubehör.

Von 1982 an war es dann Sr. Mechtild Staehle, die bis zu ihrer Pensionierung die Einsatzleitung innehatte, danach Sr. Andrea Ostertag. Dann schon das heutige Team mit H. Böhm und Fr. Gschwendner.

Die erste Immobilie, die der Verein für die Wohnung der leitenden Schwester, für das Büro und das Lager mietete, war Marktstr.7, das jetzige Flur 23 Haus. Das Gute: es war mitten in der Stadt, das nicht so gute: es war alt und alles andere als isoliert. Sr. Mechtild ist teilweise stündlich aufgestanden und hat heißes Wasser gemacht, dass der Ablauf nicht einfriert. 

Als 1993 die Bantel Werkstatt gemietet und nach Umbau bezogen werden konnte, war das genauso mitten in der Stadt und mit den verschiedenen Räumlichkeiten und späteren Erweiterungen gut und ausbaufähig. Der Verein konnte als Mieter die Sozialstation sponsern.

Dennoch war er immer

  1. Ein umstrittener Verein.

Bei der Gründung war schon die Frage, ob Giengen diesen eigenen Verein braucht. Die Antwort war damals und ist heute ja, denn die zeit- und geldsparende ehrenamtliche Tätigkeit, die jetzt z.B. Frau Bruchmüller als Rechnerin erbringt, geschieht immer nur lokal.

Als dann die Dinge nach dem Krieg neu geordnet wurden, sind die Lehren aus den Verfehlungen der NS-herrschaft  gezogen worden. Seither ist es umgekehrt: 1. Vorsitzender ist der Pfarrer, 2. Vorsitzender der Bürgermeister. Die Stadt sollte fortan nicht mehr allein bestimmen, auch wenn die Unterstützung durch die Kommune noch in den Achtzigern nötig war.  

Denn nach dem Krieg hat die häusliche Grundpflege wie waschen, ankleiden usw. die Mitglieder nichts gekostet.

Der Rechner damals war Herr Georg Trauter, der sich unermüdlich um Mitglieder bemüht hat. Ihre Zahl ist damals auf über 1000 angewachsen.

 

Als Anfang der siebziger Jahre das Land die Aufgabe entdeckt hat, hat es Bedingungen an die entstehenden Sozialstationen und die Zuschüsse dafür gestellt. Wieder stand der ev. Krankenpflegeverein zur Debatte. 

Es war damals eine in meinen Augen geniale Idee, die beiden inzwischen in Giengen ungefähr gleich starken Kirchengemeinden  in der ökumenischen  Sozialstation kooperativ zu verbinden, gleich noch zusammen mit den inzwischen eingemeindeten Dorfgemeinden. Man hätte auch wie andernorts einen großen Verwaltungsapparat aufbauen können, der die Zuschüsse  geschluckt hätte. Giengen hat es anders gelöst. Es brauchte dazu den Einsatz von Pfarrer Kreh beim Diakonischen Werk und beim Landratsamt  und vor allem ein vertrauensvolles  Verhältnis  mit den Katholiken, mit Pfr. Edelmann und mit BM Rieg.  

Pflege war für die Mitglieder der Vereine nach wie vor umsonst, wenn keine ärztliche Verordnung vorlag. In 1990 hat dieser  Krankenpflegeverein 20 430 Hausbesuche gemacht. 1980 waren es noch 12 540. Der Umsatz war 330 000,- DM. Zehn Jahre davor betrug er 200.000,-DM.  In der gesamten Station waren es in 1990  520.000,- Einnahmen und Ausgaben. Davon Mitgliedsbeiträge immerhin 71.200,-, in Giengen 55 000,- nach 39.000,-  zehn Jahre zuvor.

So haben wir es bis Ende der neunziger Jahre geschafft, durch die ehrenamtliche Tätigkeit den Zuschuss der Stadt und erst recht der ebenfalls in Pflicht zu nehmenden Kirchengemeinden klein und oft bei null zu halten. Auch anteilsmäßig war er immer kleiner als z.B. in Heidenheim. Zu erinnern ist hier an Frau Luise Kastler als Kassiererin 25 Jahre lang, an Herr Steck in Hohenmemmingen, an Herr Georg Werner als meinen Vorgänger, an meine 23 Jahre, an Herr Franz Uhl als ehrenamtlicher  GF der Sozialstation, an die von Hürben und Burgberg, die dort sich jeweils für die Krankenpflegevereine eingesetzt haben. Und an die Kirchenpflegerin Frau Rieckert, die in der Kirchenpflege die Arbeitsverträge  und die Gehaltsabrechnung der Schwestern bearbeitet hat. Auch das war zum großen Teil  ehrenamtlich.

Dann kam die Pflegeversicherung und wieder war die Frage, wozu braucht man dann noch den Krankenpflegeverein?

Nun, nach wie vor gibt es Besuche und Dienste, die die Pflegerversicherung nicht zahlt. Weil z.B. die Einsatzdauer auch für Pflegestufe 1 zu gering ist. Aber dennoch

  1. Wie geht es in die Zukunft?

Bis zur Gründung der gemeinnützigen GmbH 1997 war der Krankenpflegeverein mit seinen Schwestern der Haupt-Leistungserbringer. Die Vorsitzenden jeweils die Pfarrer. Als dann in den achtziger und neunziger Jahren Gesetze und Verordnungen in dem Bereich schneller verändert wurden, als man sie anständig umsetzen und einüben konnte, wurde eine professionelle Geschäftsleitung nötig.

Das war die richtige Zeit für die Pfarrer Hartmann und Gube, für Herr Eberhardt von Burgberg, für Herr Uhl  und mich, eine gemeinnützige GmbH zu gründen mit einem Geschäftsführer, der Kopf ist und den Kopf hinhält. Dazu war Herr Hammel bereit und hat die nötigen Schritte auf den Weg gebracht. Dass wir vorher mit Diakonie und Kirche um die Lösung streiten mussten, sei hier auch erwähnt. Inzwischen hat sich unsere gGmbH-Lösung  im Land mit durchgesetzt.

Gesellschafter sind geworden:

  • die in Giengen tätigen Krankenpflegevereine von Giengen, Burgberg und Hürben mit zusammen 50% und
  • die evangelischen und katholischen Kirchengemeinden der Gesamtstadt mit den anderen 50%.

Den größten Anteil hat der ev. Krankenpflegeverein Giengen, der ja seine gesamte Tätigkeit auch in die Station eingebracht hat.

Für die geschäftlichen Entscheidungen der GmbH wurde ein Verwaltungsrat  geschaffen, dessen Mitglieder von den Gesellschaftern bestimmt werden. Die Pfarrer, die in der Gesellschafterversammlung als Vorsitzende der Vereine und als Vertreter der Gemeinden sitzen, sollten sich nicht mit den geschäftlichen Dingen befassen müssen. In dem Bereich kennen sich andere aus den Gemeinden und Vereinen besser aus.

Wir wollten bewusst eine Sozialstation, die aus christlicher Ethik ihren Dienst tut, und haben deshalb die Gemeinden beteiligt.  Allerdings hat es sich gezeigt, dass die Kirchen bei den Anstellungen, beim Wirtschaften, bei der Frage, welche Dienste die Sozialstation anbietet und auf welchem Gebiet, mitbestimmen wollten, von oben runter. Auch die Kirche hat ihre Bürokratie. 

Heute stelle ich die Frage, mit welcher Idee die Geistlichen beider Konfessionen ihre Funktion als Gesellschafter der Sozialstation wahrnehmen. Es geht dabei auch um die Frage von Seelsorge oder Ermutigung zum Leben und ggf. zum Sterben.

Wenn der Dienst für alle in der Stadt da ist, kann er dann auch von allen fachkundigen Menschen getan werden, auch wenn sie  bewusst Nichtchristen  sind, evtl. Muslime? Oder ist die Sozialstation als einer unter mehreren Anbietern der, bei dem neben der wichtigen Leibsorge auch die Seelsorge ihren Platz hat, für die es ein christliches Grundverständnis braucht, auch z.B. in der Sterbebegleitung?

Hat der evangelische Krankenpflegeverein neue Aufgaben, wenn er die häusliche Krankenpflege, das, was er 90 Jahre lang vor allem gemacht hat,  an die Sozialstation delegiert?

Was Frau Albrecht-Groß vom Krankenpflegeverein aus mit den pflegenden Angehörigen macht, zeigt einen wichtigen Weg für die Zukunft. Die Angehörigen brauchen Unterstützung, Motivation.

Dieser Verein hat in seinen 100 Jahren schon oft neue Wege beschritten. Es ist womöglich in manchen Bereichen wieder dran. Vielleicht muss er neben manchem anderen auch seinen Namen ändern. Ein Auslaufmodell brauchen wir nicht und ist er nicht. Ich bin davon überzeugt,  dass der Verein wieder Neues tun wird, weil es nötig und notwendend  ist. Auch gerade das, was zunächst umstritten ist.  Das ist oft besonders Zukunftsträchtig. Das wünsche ich mir als Vereinsmitglied.

Hermann Brender

 

Anmerkung aus neuerer Zeit:

Obige Palette der Aktivitäten konnte Mitte 2018 durch die Senioren Alltagshilfe Giengen sehr gut ergänzt werden!